Nach einer erholsamen “Ferienwoche” im KAUST fiel uns der Wiedereinstieg in den saudischen Alltag schwer. Kaum hatten wir die Fahrt nach Jeddah aufgenommen, wurden wir von der Polizei gestoppt. Es sei viel zu gefährlich und nicht erlaubt, mit dem Velo auf der Autobahn zu fahren.

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Wir erklärten, dass wir die letzten 350km darauf unterwegs waren, und auf dem Seitenstreifen viel Platz haben. Alles Argumentieren nützte nichts: Der Polizist stoppte einen beliebigen Lieferwagen, welcher uns und unsere Velos mitnehmen musste. Immerhin konnten wir uns ausbedingen, dass wir nach 5km weiterfahren durften. Der Polizeiwagen fuhr voraus und hielt nach den vereinbarten 5km natürlich nicht an. Wir flehten den pakistanischen Lieferwagenfahrer an, dass er bitte anhalten soll. Als Bürger dritter Klasse wollte er verständlicherweise keine Probleme mit der Polizei und fuhr weiter, bis wir die Seitentür öffneten. Dies brachte auch den Polizisten zum Anhalten. Genervt wollte er unsere Pässe einsammeln, damit wir gezwungen wären, ihm zu folgen. Wir behielten im Hahnenkampf die Oberhand, weigerten uns die Pässe rauszurücken und bekamen schliesslich die Erlaubnis, bei der nächsten Ausfahrt ins nahe Dorf abzubiegen😀.
Beim Entladen der Velos bemerkten wir einen Platten in unseren neuen Reifen mit Pannenschutz! Unter den starrenden Blicken gelangweilter Männer mussten wir in der staubigen Hitze zwei Löcher flicken.

Die Strassen in die 5-Millionen-Stadt Jeddah wurden immer grösser und verkehrsreicher. Die buchstäblich vor- und rücksichtslose Fahrweise der Saudis erforderte unsere vollste Aufmerksamkeit, sodass wir völlig K.O. in unserer Unterkunft ankamen. Wir durften in der Drittwohnung eines äusserst grosszügigen saudischen Kontakts übernachten. Sein Sohn empfing uns mit Frau und Tochter zu Kaffee und Kuchen. Abends fuhren wir fürs Sightseeing in die Altstadt, gegen 23:00 Uhr gingen wir zum Znacht ins Restaurant. Die dreijährige Tochter war bei unserer Rückkehr um 01:30 Uhr nachts wesentlich fitter als wir😊.

Am nächsten Tag trafen wir uns mit zwei begeisterten Mitgliedern des Jeddah Cycling Clubs. Sie empfahlen uns für die Weiterfahrt eine Route durch das Hejaz-Gebirge. Die Landschaft sei interessanter als im Flachland, es gebe keine Sandstürme und habe Nebel. Der Nebel überzeugte uns😉! Leider hatte David nach der ersten Etappe Richtung Berge ein wund gefahrenes Füdli, was das Weiterkommen kurz infrage stellte. Wir verarzteten Davids Hinterteil mit 4 Compeed-Pflastern, welche den >2000Hm Anstieg erträglich machten😊.

Die Fahrt im Gebirge war anstrengend aber dank Wolken und Dörfern sehr abwechslungsreich und schön. Täglich schlugen wir Einladungen von enorm gastfreundlichen Einheimischen aus, weil wir sonst nicht vom Fleck gekommen wären. Von einem engagierten Velofahrer vom Baha Cycling Club liessen wir uns aber gerne verköstigen und beherbergen. Er führte uns durch sein Dorf, verwöhnte uns mit leckerem Essen und beschenkte uns reich (David ist nun stolzer Besitzer eines «Saudi Cycling»-Trikots😊). Zu unserer Überraschung ging er am nächsten Morgen nicht zur Arbeit, sondern radelte die ersten 40km mit uns. Sein 17-jähriger Sohn blieb der Schule fern, um uns als Besenwagen zu begleiten: Mit Führerschein, Arbeits- und Schulpflicht nehmen es die Saudis nicht so genau😊.

Der Besenwagen unseres Gastgebers wurde praktisch nahtlos von einem zivilen Fahrzeug abgelöst, welches uns immer knapp innerhalb unserer Sichtweite verfolgte. Auf einer schmalen Strasse packte David die Gelegenheit, kehrte um, radelte auf den überraschten Verfolger zu und fragte ihn, wieso er uns beobachte? Der schwarz gekleidete Mann mit Sonnenbrille antwortete, dass er dies nicht tue!  Aber bereits in der nächsten Kurve schlich sein Wagen wieder so hinterher, dass wir ihn nicht hätten sehen sollen (wie in einem lausigen Agentenfilm😀!). Beunruhigt stürmten wir im nächsten Dorf einen Supermarkt und fanden dort sehr freundliche Saudis, denen wir das Problem auf Englisch schildern konnten. Inzwischen hatte der ominöse Wagen auf der anderen Strassenseite gehalten.

Mit viel Selbstvertrauen ging der Mann aus dem Laden mit David auf den Verfolger zu, wich jedoch nach einigen Sätzen erschrocken zurück. Unser Verfolger sei vom Inlandgeheimdienst Mabahith und begleite uns zu unserer Sicherheit. Wir wissen nicht, wie man sich sicher fühlen soll, wenn einem ein Zivilfahrzeug «unauffällig» folgt?! …insbesondere nach der Lektüre der englischen Wikipedia-Seite über diese «Organisation».
Zurück im Laden, erzählte der Mann seinen ungläubigen Kollegen die Geschichte und wir hatten alle etwas weiche Knie. Wir fragten uns, ob wir uns etwas zu Schulden kommen liessen und nahmen vorsichtshalber unseren ersten Blogeintrag über Saudi-Arabien vom Netz.

Nach einer längeren Verschnaufpause folgte uns das Fahrzeug nicht mehr… es war jetzt ein anderes Auto😉. Wir beruhigten uns langsam und glaubten die Geschichte, dass sie uns (vor was auch immer) schützen wollten. Am nächsten Tag gab es mindestens acht Ablösungen unseres Begleitschutzes. Nachdem wir begannen, den «unauffälligen» Verfolgern zu winken, stellten sich die Männer jeweils bei uns vor. Einmal wurden wir zum Tee eingeladen, ein andermal ging der Agent unsere Wasserflaschen auffüllen und bezahlte den Kaffee. So konnte es weitergehen😊.

Bei der Einfahrt in die Stadt Abha wurde die Situation wieder freaky. Um uns in der Stadt nicht aus den Augen zu verlieren, wurde das Dispositiv auf mindestens drei Fahrzeuge aufgestockt. Der hartnäckigste Begleiter blieb so lange im abgedunkelten Auto vor dem Hotel stehen, bis wir unser Zimmer bezogen hatten. Später erkundigte er sich an der Rezeption nach unserer Raumnummer.

Auf der Stadtbesichtigung am nächsten Tag litten wir anfangs unter Verfolgungswahn. Bald stellten wir fest, dass wir keinen Begleitschutz hatten und uns frei bewegen konnten. Offensichtlich sind wir nicht ganz so wichtig😊.
Nun sind wir sehr gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Wir haben unseren Aufenthalt heimlich um eine Nacht verlängert😉 und fahren morgen weiter den langen Wüstenstrecken entgegen.