Innerhalb weniger Minuten packten wir die Taschen an unsere Velos und verliessen das Hotel in Abha. Spätestens nach einigen Einbahnstrassen und U-Turns in Gegenrichtung meinten wir, den Begleitschutz abgehängt zu haben😊.

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Nachdem wir die ersten 40km durch den kriminellen Stadtverkehr gemeistert hatten, genossen wir etwa eine Stunde ohne den ständigen Verfolger… aber bereits vor der Mittagspause klebte uns der Geheimdienst wieder am Hinterrad.

Saudischer Fahrweise

Als wir uns zum Picknick in den Schatten setzten, begann unser Verfolger wild zu gestikulieren und erzählte uns mithilfe vom Google-Translator irgendetwas über einen anderen Velofahrer. Relativ unbeeindruckt assen wir weiter, als plötzlich George, ein rumänischer Tourenfahrer und sein Begleitschutz vorfuhren. Auch er wurde bereits zwei Wochen lang begleitet und die Order schien zu lauten, dass wir seltsamen Velotouristen nie aus den Augen gelassen werden durften.

Nach dem gemeinsamen Zmittag pedalierten wir mit George und Begleitschutz weiter. Der neue Verfolger nahm seine Aufgabe so ernst, dass er im Auto mit Sichtkontakt auf unser Zelt übernachtete. Weil er auf eine Nacht im Freien nicht vorbereitet war, mussten wir ihn mitten in der Wüste mit Wasser und Datteln versorgen… zu seiner Sicherheit😉. Unsere langen (Tee-)Pausen😊 passten nicht zu Georges Rhythmus, weshalb sich unsere Wege nach ein paar Tagen trennten. Den Begleitschutz wurden wir mit Eintritt in die neue Provinz ebenfalls los. Mit einem im Google-Translator elaborierten Textes baten wir ihn mehrmals höflich aber nachdrücklich, uns in Ruhe zu lassen – mit Erfolg😀!

Abgesehen von einem Tag, den wir wegen Sandsturms an einer Tankstelle verbrachten (wir kehrten nach 20km bzw. 2 Stunden Gegenwind um), hatten wir gute Windverhältnisse und kamen zügig voran. Auf der Strasse #10 von Abha bis südlich von Riad fanden wir genügend Tankstellen und Dörfer, um uns im Abstand von 30-100km zu versorgen. Entlang dieser Strecke wird mittels Bewässerung mit (fossilem) Grundwasser viel Landwirtschaft betrieben. Mitten in der Wüste wird auf runden, saftig grünen Feldern wasserintensives Tierfutter angebaut. Da Wasser praktisch gratis ist, wird damit sehr verschwenderisch umgegangen… gemäss dem Motto «S’het solang’s het!» (mehr dazu in diesem Artikel der FAZ).

Südlich von Riad wurden die Felder von riesigen Kuhställen abgelöst. Almarai, der grösste Milchkonzern der Welt, produziert in Saudi-Arabien mit 195 000 Kühen ca. 1.5 Milliarden (1’500’000’000) Liter Milch pro Jahr. Wir hätten die Firma sehr gerne besucht, zumal wir 50km entlang des Almarai-Geländes fuhren. Trotz mehrmaligen Anfragen und sehr freundlichen, hilfsbereiten Angestellten, war eine Besichtigung ohne vorangehenden Anmeldeprozess und Sicherheitsüberprüfung leider nicht möglich.

Auf einen Abstecher nach Riad haben wir insbesondere wegen des Verkehrs und unserer mangelnden Begeisterung für eine weitere saudische Stadt verzichtet. Nach fast 1000km Fahrt von Abha Richtung Nordosten nahmen wir vor der Hauptstadt «DIE» Rechtskurve und folgten der gleichen Strasse für weitere 450km nach Osten. Die schönen Sanddünen an der Strasse zeugten davon, dass wir die Ausläufer der grössten Sandwüste der Welt (Rub al-Khali) durchquerten. Bis kurz vor der Grenze zu den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) fuhren wir gemäss Guinnessbuch der Rekorde auf der längsten geraden Strasse der Welt (263km ohne Kurve). Ob dieser Rekord eingekauft wurde oder beim Unterhalt zu viel Guinness im Spiel war, können wir nicht beurteilen… aber die Strasse hat über die Jahre eindeutig Biegungen bekommen😀.

Auch mit starkem Seitenwind waren die Abschnitte zwischen den Tankstellen (inklusive Pakistani- oder indischen Restaurants) mit vorgängiger Planung gut zu meistern. Auf der längsten Durststrecke (=100km) gab es in der Mitte den einzigen Schatten und Windschutz. Es war ein altes, verfallenes Gebäude, von dem nur die Unterstände für die polierten Polizeiautos in brauchbarem Zustand waren. Durch das offene (defekte) Tor suchten wir im Innenhof Wind- und Sonnenschutz für die Znünipause. Nach einigen Minuten fuhr ein Polizeiwagen ein, bei welchem wir uns bemerkbar machten. Der Polizist schien einverstanden zu sein, dass wir hier eine halbe Stunde Pause machten. Bereits 10 Minuten später kam er zurück und gab uns zu verstehen, dass unsere Zeit abgelaufen sei und wir nun gehen sollten… Ironischerweise mussten wir am Tag zuvor unsere gesamte Verhandlungskunst einsetzen, um eine erneute Polizeieskorte zu unserer «Sicherheit» abzuwenden…

Bis auf die seltsamen Situationen mit der Polizei erlebten wir die Saudis überaus gastfreundlich! Immer wieder erhielten wir kleine Einblicke in die verborgene Welt hinter den fensterlosen Fassaden. Ganz besonders ungewohnt waren für uns die komplexen Familienverhältnisse und -traditionen. Die Heirat unter Cousins und Cousinen ist weit verbreitet (ca. 50%, je nach Quelle). Sie wird von den Vätern vermittelt und verhandelt. In der Regel sehen sich Braut und Bräutigam bei der Hochzeit zum ersten Mal. (Das Familienleben spielt sich im engsten Kreis ab und die Privatsphäre hat höchsten Stellenwert. Oft tragen bereits 7-jährige Mädchen gegenüber ihren Cousins eine Nikab oder ein Kopftuch. Ich durfte Frauen – in Realität und auf TikTok – ohne Nikab sehen, David blieben Gesicht und Haare von saudischen Frauen verborgen.)

Auch auf dem langen Wüstenabschnitt hatten wir sehr schöne Begegnungen mit den Einheimischen und ihren Gastarbeitern: Mohammed nahm sich an seinem letzten Ferientag Zeit, um uns im 170km entfernten «Nachbarort» den Tierpark zu zeigen. Lastwagenfahrer stoppten, um uns Wasser zu geben, zwei Herren schenkten uns ihre saudischen-Kopftücher (Ghutra), damit wir unsere Gesichter gegen den Sand schützen konnten und Mubarak reichte uns frische Kamelmilch. Mit dieser stiessen wir nach 13 Tagen und 1500km auf das Ende der Strasse #10 und auf den erfolgreichen Grenzübertritt nach VAE an.

Glücklicherweise war uns beim «Feiern» nicht bewusst, dass der langweiligste und mühsamste Wüstenabschnitt noch vor uns lag. Bis Abu Dhabi fuhren wir fast 400km mit konstantem Seiten-/Gegenwind auf der topfebenen Autobahn. Die ganze Strecke war mit Strassenlampen und Hochspannungsleitungen gesäumt, links und rechts gab es nur morastige Salzwüste. Strassenschilder und Überführungen waren die einzigen Landmarken, die für Abwechslung sorgten. Und auf der gesamten Strecke hatten wir nur zwei Gelegenheiten, bei einem indischen Tankstellenrestaurant einzukehren… Der Nordosten von VAE ist wirklich nichts, was Velofahrer auf ihre Bucket-Liste nehmen sollten😉.

Gestern kamen wir verschwitzt, staubig und sehr zufrieden in Abu Dhabi an… Jetzt haben wir die Durchquerung der Arabischen Halbinsel mit dem Velo wirklich geschafft😊! Hier gönnen wir uns ein paar Ruhetage, bevor wir die VAE erkunden und unsere Weiterreise planen…