…uns. Und wir haben Sumatra erledigt. Erwartungsgemäss und trotzdem überraschend machte uns die sechstgrösste Insel der Welt zu schaffen. Mehr dazu in diesem (zu) langen Bericht… für die Eiligen befindet sich die Fotogalerie wie üblich am Ende des Textes😉.

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Aber beginnen wir dort, wo der letzte Beitrag aufgehört hat: in Port Dickson, Malaysia. Als wir am Morgen im kleinen Hafengelände ankamen, war schon viel los. Menschen und Gepäck sammelten sich chaotisch vor dem Gebäude. Bald stellten wir fest, dass die Situation viel organisierter war, als es den Anschein machte und lediglich etwas Geduld erforderte. Indonesien-Visa präsentieren, Tickets für uns und die Velos kaufen, alle Taschen wiegen und das Gewicht per Kilogramm bezahlen, Ausreisestempel in den Pass drücken lassen und schon spazierten wir aufs Schnellboot Richtung Sumatra. Die sechsstündige Überfahrt im klimatisierten Boot war ruhig und angenehm. Mit Fast & Furious 9, der tonlos über den Bildschirm flimmerte, genossen wir einen unterhaltsamen Stummfilm, untermalt vom inbrünstigen Rülpsen der Dame auf der vorderen Sitzreihe😊.

Auf indonesischer Seite kümmerte sich am Pier von Tanjung Balai eine Schar von «fleissigen» Helfern ums Entladen des Gepäcks. Nach erfolgten, sehr einfachen Einreiseformalitäten konnten wir die Taschen neben einer Waage abholen… aber erst, nachdem wir die Träger pro Kilogramm Gepäck bezahlt hatten! Unser kleiner Startgroschen an Lokalwährung war nicht ausreichend, wurde aber etwas mürrisch akzeptiert und wir durften losziehen.
Im Eindunkeln machten wir uns auf den Weg zum angestrebten Hotel. Unglaublich viele Menschen, dichter Verkehr, Gehupe, Abfallhaufen, Kloakengestank, Duft von Gassenküche, «Hello» aus allen Richtungen und schlechte Strassen haben uns ziemlich überrumpelt! Phuu, Indonesien kann heiter werden!

Am nächsten Morgen ging es auf der Hauptstrasse im gleichen Stil weiter und wir kämpften pausenlos um ein Plätzchen auf dem Asphalt. Hier das 1×1 des Verkehrs auf Sumatra:

  1. Es gilt das Recht des Stärkeren, da kommen wir ziemlich weit unten.
  2. Linienbusse sind in der Hackordnung zuoberst und rasen mit 80km/h durch die Gegend und Dörfer. Wenn sie hupend mitten auf der Strasse angebraust kommen, weichen sogar LKWs aus. Bremsen tun sie nie.
  3. Hupen bedeutet «Go, go, go», «Achtung, ich komme» oder «Weg mit dir!». Die Interpretation liegt in der Verantwortung des Velofahrers, seine Sicherheit auch.
  4. Es wird konsequent nur nach vorne geschaut, was im Alltag sehr gut klappt (ausser Busse oder LKWs sind im Anflug😉).

Erst auf einer ruhigeren Nebenstrasse begann uns die Fahrt durch kleinbäuerliche Palmölplantagen zu gefallen. Spätestens nach den ersten «Hello Misteeer», vielen winkenden Händen, etlichen Selfies und der Einladung zum Zmittag hatten wir uns mit dem Land versöhnt und sahen unserer Weiterreise zuversichtlich entgegen.

Drei ältere Herren des lokalen Veloclubs begleiteten uns am nächsten Tag spontan im Aufstieg zum Toba-See. Nach einem gemeinsamen Kaffee verabschiedeten wir uns und genossen den Blick auf wunderbare Teeplantagen sowie die Abfahrt in den Toba-Krater. Der grösste Vulkansee der Welt entstand vor 74’000 Jahren durch den Ausbruch des Supervulkans Toba. Gemäss Katastrophentheorie führte die Eruption zu einer weltweiten Abkühlung und verursachte einen genetischen Flaschenhals in der Ausbreitung des Homo sapiens. Im Ausmass nicht vergleichbar, aber ebenfalls tragisch, war ein Fährunglück mit ca. 190 Toten, welches sich 2018 (bei Sturm und hoffnungslos überladenem Boot) auf dem See ereignete. Wir waren für die Überfahrt auf die Insel Samosir exakt auf derselben Strecke unterwegs. Ein identischer, altersschwacher Holzkahn verkehrte im Schritttempo, Passagiere und «Kapitän» rauchten ununterbrochen und aus dem Lautsprecher dröhnte die Band 4 Non Blondes mit dem Song «What’s going on?»…

Vielleicht hätte David besser nicht so ausführlich recherchiert😉?! Glücklicherweise war das Wetter herrlich und der See spiegelglatt, sodass wir die Insel Samosir mitten im Vulkansee sicher erreichten.

Eine kurze Velofahrt brachte uns in den Touristenort Tuktuk. In einer idyllisch am See gelegenen aber schimmlig-muffigen Unterkunft verbrachten wir ein paar ruhige Tage bei angenehmen Temperaturen. Nach der Inselquerung von Samosir und einer kurzen Wanderung auf einen Aussichtspunkt, ging es 1000 Höhenmeter zum südlichen Kraterrand hinauf. Wie schon oft in Südostasien, wurde uns bei der Anstrengung richtig übel, wir fühlten uns platt und hatten keinen Appetit. Auf der langen Bergstrecke kam ich kaum vom Fleck und hatte deshalb viel Zeit zu überlegen, welches Getränk oder Essen mich nicht anwidern und Energie spenden würde: es war unsere Rehydrationslösung zum Anrühren. Zwei Tassen Salzgetränk wirkten Wunder und wir fühlten uns danach viel besser. Am Abend machten wir uns im Internet über Salzmangel schlau und realisierten, dass wir im schweisstreibenden tropischen Klima mit komplett mineralienfreiem Wasser und wenig gesalzenem Essen wohl schon länger eine Hyponatriämie hatten. Ab sofort salzten wir sogar die Elektrolytlösungen zusätzlich! Diese Therapie heilte uns wundersam von allem, was uns in den vergangenen Tagen und Wochen geplagt hatte. Die allgemeine Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit war weg, unser Velofahrer-Hunger kam zurück, uns war nicht mehr übel oder schwindlig, wir waren voller Tatendrang, die Sitzbeschwerden gingen zurück und sogar das Zwicken in Hüften und Knie war wie weggeblasen. Wow, was für ein Lebensgefühl😊!

Ein paar Tage lang rollten wir beflügelt durch die sehr schöne Berglandschaft mit Reisfeldern im Tal und zwischen bewaldeten Hängen. Kaffee, Kakao, Papaya, Ananas, Mango, Drachenfrüchte, Mangostane, Sternfrüchte, Nelken, Pfeffer, Zimt, Muskatnuss, … hier auf Sumatra wächst so ziemlich alles! Sonntags sahen wir hübsch gekleidete Frauen in die Kirche strömen (die lokale Volksgruppe der Batak ist mehrheitlich christlich), wir bestaunten die traditionellen Häuser und wunderten uns über Lieferwagen und Motorräder voller Männer mit ihren Hunden. Ein Einheimischer erklärte uns, dass die Hetzjagd mit Hunden auf Wildschweine in der Region eine verbreitete Tradition sei. In unseren Augen blutig und barbarisch… aber das sieht man hier anders (ein englischer Artikel dazu).

Kurz vor der Stadt Bukittinggi überquerten wir den Äquator, welcher durch ein heruntergekommenes Monument markiert wurde. Spannender war einige Kilometer später die geführte Kurzwanderung durch den Dschungel zu einer Rafflesia Arnoldis, der grössten Blüte der Welt. Im einzigen Café des Dörfchens gab es eine weitere Attraktion zu geniessen: (angeblich) biologischer Kaffee Luwak. Dieser teuerste Kaffee der Welt soll deshalb so delikat sein, weil die Kaffeekirschen vor der weiteren Verarbeitung den Verdauungstrakt von wilden Schleichkatzen passieren… Unser Bauchgefühl sagte, dass wir diese Rarität nicht probieren sollten. Beim Nachlesen über Massenproduktion mit Käfighaltung sahen wir uns in diesem Verzicht bestätigt. Und scheints gibt es keinen Geschmacksunterschied zwischen Arabica-Kaffee und Kaffee Luwak.
Heute bereut der erste Kopi Luwak Importeur, dass er vor 20 Jahren das Kuriosum im Westen bekannt machte. Mehr dazu in diesem englischen Artikel von theguardian.com.

Die Hälfte eines Pausentages in Bukittinggi verbrachte ich wiedermal auf der Gemeinschaftstoilette des Hostels. Dies war nicht verwunderlich, denn mit der Hygiene stand es in Sumatra nicht immer zum Besten. In Ermangelung von fliessendem Wasser gab es auf den Toiletten oft nur ein grosses Waschbecken mit einer Schöpfkelle. Dieses Wasser diente gleichzeitig zum Duschen, zum Händewaschen, zum Waschen des Hinterteils und für die Spülung.

Als ich mich einige Tage später wieder gut fühlte, traf es David: Er wurde von einer Biene gestochen und reagierte mit einem heftigen Hautausschlag am ganzen Körper. Zum Glück hatte er keine Atemnot und der Ausschlag klang dank drei Antihistamin-Tabletten aus unserer Reiseapotheke nach einigen Stunden ab. Am nächsten Morgen war David komplett auskuriert, was für die bis zu 20% steile Bergetappe am Fusse des Kerinci Vulkans nötig war. Auf dem Hochplateau angekommen, pedalierten wir durch ein grünes Meer aus Teeplantagen und genossen den letzten Tag im Barisangebirge. Denn nur ein kleiner Pass und eine lange Abfahrt durch den Dschungel, wo einer Horde Siamang Gibbons ein eindrückliches Konzert gab, trennten uns noch von der Westküste Sumatras.

Auf Meereshöhe waren die Temperaturen und die Feuchtigkeit unangenehmer als im höher gelegenen Landesinneren. Bis ans 900 km entfernte Südende der Insel machte uns nicht nur die Topographie mit unzähligen (steilen) Hügeln, sondern auch das Klima Mühe. Insbesondere David schwitzte wie ein Bär, sein T-Shirt war häufig schon vor dem Start nass und konnte spätestens nach dem ersten Anstieg ausgewrungen werden. Er konnte gar nicht ausreichend Wasser und Mineralien zuführen, weshalb er Appetit und Kraft verlor. Die nicht besonders reizvolle Strecke durch Palmölplantagen und nur selten Blick aufs Meer war dem Befinden nicht förderlich.

Doch die Indonesier taten alles, um die Strecke dennoch attraktiv zu machen! Überall riefen uns Menschen am Strassenrand fröhlich «Hello Misteeer», «Hello Miiiss», «Turist!», «Hello Bule» (=Ausländer), «My name is?», «How are you!», «Where are you from!» oder «I love you!» zu. Kinder versteckten sich wahlweise vor uns, winkten wie wild oder liefen uns nach. Täglich wurden wir auf der Strasse für Selfies angehalten. Insbesondere junge Frauen überholten uns mehrmals mit dem Roller, bevor sich die Mutigste traute, das Codewort «Selfie» zu flüstern. Natürlich hielten wir gerne an, wofür wir lachende Gesichter und Begeisterung ernteten. Mit viel Übung wurden wir immer besser darin, die passenden Fingergesten zu machen😊. Herzig war auch die Situation, als David in einen Minimarkt einen Angestellten seine Englischkenntnisse laut auffrischen hörte. Während David den Einkauf bezahlte, winkte der junge Mann immer wieder durchs Fenster nach aussen zu mir. Als wir schon abfahrtsbereit waren, nahm er seinen gesamten Mut zusammen, kam aus dem Laden gerannt und fragte für ein Selfie. Mit dem Bild auf seinem Handy hüpfte er laut jubelnd in den Markt zurück😊. Wer kann in so einem Land nicht fröhlich sein?

Wir machten uns das Leben so einfach wie möglich, planten keine allzu langen Etappen und übernachteten immer in Unterkünften, deren Existenz wir im Vorfeld verifizierten. Die Zimmer inspizierten wir stets kritisch und den Preis mussten wir manchmal hart verhandeln. Ungeputzte Zimmer waren so üblich wie frische Bettwäsche selten war, wegen Bettwanzen zügelten wir auch schon das Zimmer und ein defekter Ventilator verwandelte ein Zimmer in einen Backofen. Zum ersten Mal auf unserer Reise mussten wir mittels Hochzeitsfoto «beweisen», dass wir verheiratet sind, um im gleichen Zimmer schlafen zu dürfen.
Weil es an einem Abend auf der Strecke keine Unterkunft gab, klopften wir bei einem Polizei-Häuschen an. Der anwesende Polizist schien die Anfrage gewohnt zu sein, wies uns routiniert in eines der leeren Zimmer ein und schaute abends mit David einen Actionfilm auf dem alten Fernseher😊.

Bis Bandar Lampung erwarteten uns drei längere Anstiege, welchen ich mit etwas Besorgnis entgegensah. Der erste Berg sollte mit seinen bis zu 20% steilen Rampen der schwierigste bleiben. Aber nicht nur uns forderten die Steilstücke heraus: Auf einem Abschnitt haben Lokale einen «LKW-Aufzug» eingerichtet. Mit kleinen Transportern und einem maroden Stahlseil zogen sie ihre schwerbeladenen Kollegen den Berg hinauf. Die durchbrochene Abschrankung und Reifenspuren zeigten, dass ein LKW hier unmöglich stoppen kann.
In weiteren unübersichtlichen Steilkurven regelten Männer den Gegenverkehr und sammelten mit Kartonkisten Geld für ihre Dienste. Zwei Stunden murksten wir uns durch den schattenspendenden Regenwald hoch und erreichten den höchsten Punkt komplett durchgeschwitzt.

Nach mehr als vier Wochen auf Sumatra kam das Südende der Insel bei Bandar Lampung in greifbare Nähe. Die verkehrsreiche, lärmige und smogige Stadteinfahrt nach Bandar Lampung verstanden wir als Einstimmung auf die Insel Java, unsere nächste Destination. Den letzten Abend auf Sumatra verbrachten wir mit nettem Besuch von Rai, einem enthusiastischen Mitglied des Veloclubs «Federalist». Ein paar Tage zuvor hatte ein Clubkollege auf der Strasse unbemerkt ein Video von uns gedreht und über eine WhatsApp-Gruppe nach uns gefahndet😉. So hat Rai uns ausfindig gemacht und fuhr spontan im Dunkeln zu unserem Hotel, um uns viele Tipps und Kontakte für die Weiterfahrt zu geben. Die angeregte Unterhaltung machte uns Vorfreude auf unseren nächsten Reiseabschnitt!

Nach einer langen Tagesetappe nahmen wir heute die Fähre von Sumatra nach Java. Hier verbringen wir die Nacht in einem Hotel direkt am Hafen von Merak, bevor wir uns morgen mit lokalen Federalisten treffen😊.

Dieser Beitrag wurde 28. Mai 2024 publiziert.

Palmöl im Biodiesel

Mit einer Fläche von 120’000km2, 51’000km2 bzw. 10’000km2 sind Indonesien, Malaysia und Thailand die weltweit grössten Produzenten von Palmöl. Im Gegensatz zu Malaysia und Thailand, ernteten in der Provinz Bengkulu primär Kleinbauern die Palmöl-Frucht. Palmöl ist in Indonesien eine «Cash-Crop»: D.h. es werden nur noch Ölpalmen angebaut und der Ertrag verkauft. Mit dem verdienten Geld kaufen die Bauernfamilien Nahrungsmittel, weil sie diese nicht mehr selber produzieren. Die Monokultur erfordert einen hohen Einsatz von Pestizid und Dünger und sorgt für tiefe Preise bei wenig Verhandlungsmöglichkeit.
Die Ölpalme ist wirtschaftlich gesehen ein Wunderding: Das geschmacksneutrale, hitzebeständige und haltbare Öl wird aus der Ölfrucht gepresst. Pro Hektar werden 3.4 Tonnen Öl gewonnen, Raps hingegen liefert nur 0.7 Tonnen.

Dass für Palmölanbau auch auf Sumatra und Borneo riesige Flächen von Regelwald abgeholzt werden, ist allgemein bekannt. Weniger bewusst sind wir uns, dass der Grossteil des Palmöls in Europa nicht (mehr) verzehrt wird, sondern zu 58% als Biodiesel im Tank unserer Autos landet, sogenannter «Klimaneutraler Treibstoff». Mit Palmöl deckt Europa ca. 30% seines Bedarfs an Biodiesel.
Berücksichtigt man die gesamte Herstellkette (Anbau, Dünger, Transport), ist die CO2-Bilanz von Biodiesel aus Palmöl um ein Vielfaches schlechter als bei Diesel aus fossilen Quellen (siehe www.regenwald-schuetzen.org).

Als Folge davon wurde in Deutschland ab 2023 die Verwendung von frischem Palmöl als Rohstoff für Biodiesel verboten… Seither wird der Palmöl-Diesel in China als Speisefett-Diesel umdeklariert. Diese Beiträge des Norddeutschen Rundfunks geben einen guten Einblick: