Mit vier neuen Veloreifen und einem Ersatzgerät für den ertränkten Forumslader verliessen wir Melbourne und dessen Vororte.

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Dank dem guten Velowegnetz war die Stadtausfahrt relativ entspannt und wurde erst anstrengend, als wir die steilen Hügel zum Sugarloaf Reservoir erreichten, kein Schleck! Die müden Beine hatten am nächsten Morgen viel Zeit, sich zu erholen, denn in Yarra Glenn warteten wir eine Regenfront ab und telefonierten zu Weihnachten unseren Familien.

Nachdem der Himmel aufgeklart hatte, machten wir uns über die Panoramastrasse «The Black Spur» an den Aufstieg durch die schönen Wälder des Yarra Ranges Nationalparks. Was auf Bildern grossartig und verkehrsfrei aussah, entpuppte sich in Realität als unerwarteter Nervenkitzel. So sehr wir die gelassenen, entspannten Australier auch lieben, wenn sie hinter dem Steuer sitzen, ändern einige ihr Gesicht. Plötzlich kann es nicht schnell genug gehen, vor dem Überholen wird weder gebremst noch Gegenverkehr abgewartet. Auch in unübersichtlichen Kurven wird das Tempo nicht reduziert, beim letzten Mal kam auch niemand entgegen. Zudem hat es für Velofahrer auf(!) der Seitenline genug Platz, sonst müssen sie halt von der Strasse weg. So fürchteten wir uns in jeder Kurve vor zu knappen Überholmanövern mit unvorhergesehenem Gegenverkehr. Statt die tolle Strecke zu geniessen und ihr einen Rang auf unserer Top10 Liste zu verleihen, waren wir einfach nur froh, unversehrt das nächste Dörfchen zu erreichen.

Über die Weihnachtstage war eine kleine Hitzewelle vorhergesagt. Dies war ein guter Grund, uns auf dem Campingplatz des Cathedral Range State Parks auszuruhen und gegen Abend eine kurze Wanderung zum Aussichtspunkt zu unternehmen. Am nächsten Tag nutzten wir die kühlen Morgenstunden, um die wenigen Kilometer nach Marysville zurückzulegen. Unsere Augen waren noch gar nicht richtig wach, als wir auf der rasanten Abfahrt heftig erschreckten. David wollte lässig einem Ast auf der Strasse ausweichen, als sich dieser plötzlich bewegte. Es ging so schnell, dass Bremsen nicht mehr möglich war… also Beine hoch und drüber. Ich fuhr hinterher und kam einige Meter vor der Schlange zu stehen, welche David unter die Räder gekommen war. Wir schauten uns gegenseitig verdutzt an und ich erkannte an ihrem hochgereckten Kopf und dicken Hals, dass sie mit unserer Begegnung überhaupt nicht glücklich war.

Nach dieser Episode finden wir einen Exkurs über unsere Erfahrungen mit Australiens gefährlichen Tieren angebracht. Australien ist bekannt dafür, die giftigsten Schlangen und Spinnen des Planeten zu beheimaten, was einige Leute davon abhält, das Land zu besuchen (gell Alex😉). Die Tiere haben aber unglaublich viel Platz, sich zu verkriechen und attackieren Menschen nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Während dem letzten halben Jahr in Australien und über 150 Zeltnächten im Busch sahen wir zwei lebendige Schlangen aus der Nähe: eine ungiftige Python in Darwin und eben die giftige Tigerotter bei Marysville. Zusätzlich begegneten wir zwei eklig-haarigen (ungiftigen) Spinnen. Lästiger waren für uns vielmehr die Bremsen, Mücken, Ameisen und Fliegen. Um unsere Eindrücke mit Fakten zu belegen, haben wir die Daten für die folgende Tabelle aus dem Internet und von TheGuardian zusammengetragen😊:

Todesfälle pro Jahr in
Australien (26 Mio. Einwohner)
Todesfälle pro Jahr in
Thailand (72 Mio. Einwohner)
Spinnen< 0.1 Personenunbekannt
Ameisen 0.15 Personenunbekannt
Quallen 0.2 Personen0.7 Personen
Krokodile< 1.0 Personen0 Personen
Schlangen1.9 Personenca. 26 Personen
Bienen2.5 Personenunbekannt
Haie2.7 Personen0 Personen
Pferd5.7 Personenunbekannt
Stürze von Leiterca. 33 Personenunbekannt
Verkehrsunfälleca. 1’100 Personenca. 18’000 Personen

Zurück zu unserer Reise. Mit etwas zusätzlichem Adrenalin im Kreislauf erreichten wir den Ort Marysville pünktlich für den Znünihalt. Zu unserer Freude waren Supermarkt, Bäckerei, Schwimmbad und Infozentrum auch am 26. Dezember geöffnet und mit sehr freundlichem Personal besetzt. Die Damen im Infozentrum beantworteten nicht nur unsere Fragen zur geplanten Route, sondern boten uns ihre Arbeitsplätze und WiFi an, so dass wir im klimatisierten Raum den letzten Blogbeitrag schreiben konnten. Dazu gab es Kaffee😊. Und noch besser: wir sollten zum Übernachten nicht auf den vier Kilometer entfernten Campingplatz im Wald fahren. Neben dem Sportplatz mitten im Dorf könnten wir problemlos unser Zelt aufschlagen, dort würde uns niemand stören. Der Pool sei ebenfalls gratis und bis um 18 Uhr geöffnet. Wunderbar, was wollten wir mehr?!

Dass die Damen so besorgt waren und uns auf keinen Fall auf den Campingplatz in den Wald schicken wollten, hatte allerdings einen tragischen Hintergrund. Marysville wurde 2009 von einem Buschfeuer vollständig zerstört, 39 der 520 Einwohnern kamen ums Leben. Das Feuer brach in einem Sägewerk aus und erreichte das 40 Kilometer entfernte Marysville in weniger als vier Stunden!
Auch am Tag unseres Aufenthalts wehte ein heisser Wind, es herrschte totales Feuerverbot und extreme Brandgefahr. Erst jetzt wurde uns richtig bewusst, dass es nicht bloss darum ging, unseren Kocher nicht anzuwerfen, sondern dass überall sehr schnell Feuer auftreten können, vor welchen man sich unverzüglich in Schutz bringen muss. Keine Frage, dass wir nach einer Gratisdusche im Schwimmbad zum Sportplatz gingen, wo wir auf dem installierten Elektrogrill kochten und von einer Gruppe indischstämmigen Männer unterhalten wurden.

Über Nacht legte sich der Wind und es kühlte um 20°C ab, womit die Feuergefahr gebannt war und wir unsere Fahrt durch endlose, duftende Eukalyptuswälder zum ehemaligen Goldgräbergebiet bei Woods Point beruhigt fortsetzen konnten. Abgesehen von einigen sehr staubigen und verkehrsreichen Kilometern vor dem Örtchen Jamieson war die Route mit dem Abstecher ins King Valley und in den Alpine National Park sehr lohnenswert und genussvoll. Eine tolle Überraschung war, dass uns der Ultravelofahrer Heath Ryan ansprach und spontan zu einer Bierdegustation in der King River Brauerei einlud😋.

Zum Jahreswechsel hatten wir uns bei Kate und Graham in Wangaratta angemeldet. Ihre Gastfreundschaft hatten wir bereits auf dem Campingplatz in der Lucky Bay genossen und die beiden zum Besten Roadhouse der Nullarbor gekürt😊. Entsprechend gross war die Freude auf ein Wiedersehen! Wir verbrachten gemütliche Stunden auf der wunderschönen Veranda, durften mit viel Platz und hilfreichen Utensilien unsere Velos warten, besuchten das Silvesterfeuerwerk auf dem Sportplatz und unternahmen einen Ausflug nach Glenrowan, wo Australiens berühmtester Ganove Ned Kelly sein letztes Gefecht austrug. Was für ein toller Start ins neue Jahr, vielen herzlichen Dank, Kate & Graham!

Ab dem 2. Januar zog es uns zurück in die Berge. Zuerst in den sehr sehenswerten Mount Buffalo National Park mit seinen eindrücklichen Granitfelsen. Ab hier bestimmten Pässe, Hitze- und Regentage sowie Bauchschmerzen unseren Reiserhythmus. Zwischen Bright und Angler’s Rest war es heiss, in Benambra fiel Regen und auf dem Sassafras Gap kugelte sich David vor Bauchschmerzen zusammen. Vor der Hitze, vor dem Regen und vor dem Bauchweh bewältigten wir jeden Tag eine grössere Steigung und hatten richtig viel Spass an den Passfahrten.

Auf dem Weg zum höchsten Berg Australiens, dem Mount Kosciuszko, richteten wir uns gerade auf dem Nationalparkzeltplatz Geehi ein, als uns zwei junge Männer einige Dosen Thunfisch sowie eine Schachtel Eier vorbeibrachten. Sie waren die Kollegen eines Wanderers, der sich 14 Tage zuvor verirrt hatte und an diesem Nachmittag lebendig aus dem Busch auftauchte. Im Basislager des Suchtrupps auf dem Campingplatz waren alle extrem erleichtert und überglücklich. Die Geschichte hatte die Öffentlichkeit seit vielen Tagen bewegt, Nachrichtensendungen berichteten live aus dem Gebiet. Erst hier, im Zentrum des Geschehens, erfuhren wir davon und freuten uns mit den Rettungskräften über den Glücksmoment.

Im Aufstieg nach Thredbo wurden wir am nächsten Morgen von vielen Fahrzeugen der Rettungskräfte (vorbildlich!) überholt und angefeuert. So gingen auch die viel zu steilen Abschnitte schnell vorbei und wir erreichten unser Tagesziel im Bergdorf Thredbo zur Mittagszeit. Auf der Suche nach Wifi fand David unseren Warmshower Gastgeber Michael, welcher uns umgehend in seine Wohnung mitnahm. Hier lachten wir über unser viel zu scharfes Abendessen, erhielten wertvolle Informationen zur Umgebung, führten spannende Gespräche und schliefen im Gästezimmer mit herrlichem Bergblick wunderbar ein.

Heute Morgen verabschiedeten wir uns von Michael. Er musste nach Canberra, überliess uns aber äusserst grosszügig und vertrauensvoll sein Zuhause für eine weitere Nacht. So hatten wir viel Zeit, am Vormittag den Mount Kosciuszko auf einer einfachen Wanderung zu erklimmen. Dass es am Nachmittag noch fürs Verfassen dieses Berichtes reichte, verdanken wir der Schwarzfahrt mit dem Sessellift ins Tal und natürlich Michaels praktischer Wohnung, die wir noch bis morgen in Beschlag nehmen dürfen. Herzlichen Dank!