Wem Bilder mehr sagen als Worte, empfehlen wir die Abkürzung direkt zur Galerie😊. Ansonsten geht es hier mit Umweg über den Text weiter…
Unsere bisherige Reise durch Alaska war ohnehin nichts anderes als ein grosser Umweg. Wären wir direkt von Anchorage hierher nach Palmer gefahren, hätten wir dafür einen halben Tag gebraucht. Wir nahmen uns jedoch zwei Wochen Zeit.

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Dass wir in Anchorage bei Warmshowers-Gastgeberin Stacey unterkamen, war einmal mehr ein Glücksfall. Ein warmes Bett und flauschige Frottierwäsche lagen für uns bereit, die Lebensmittelvorräte waren für Vielfrasse ausgelegt. Uns hat es bei Stacey an überhaupt nichts gefehlt, sie hat uns herrlich verköstigt und uns mit vielen hilfreichen Tipps und Routenvorschlägen eingedeckt. Ihre Begeisterung für Alaska war so riesig, dass sie uns sofort damit ansteckte!

Während unseres Aufenthalts in Anchorage hatte die Erweiterung unserer Ausrüstung um zwei Bärensprays und zwei Bärenkanister zur sicheren Aufbewahrung unseres Proviants erste Priorität. Die Besichtigung der schön gelegenen Stadt und ihrer Umgebung hielten wir kurz, denn wir «mussten» uns in den Sattel schwingen, um unsere Verabredung in Hope nicht zu verpassen. Für die ersten Fahrtage in Alaska hätten wir uns keine besseren Bedingungen wünschen können: milde Temperaturen, wolkenloser Himmel und Rückenwind. Wir kamen aus dem Staunen über die grossartige, schneebedeckte Bergwelt kaum heraus und legten unzählige Fotostopps ein.

Stacey und ihr Adventure Buddy Tony hatten uns eingeladen, am Wochenende mit ihnen und ihren Freunden in Hope zu campieren, Elchburger zu schlemmen und ein Konzert zu besuchen. Als wir ins kleine Dörfchen einrollten, wurden wir von Salome und Dan, einem sympathischen Schweizer Paar, in Empfang genommen. Die beiden sind mit Coronaunterbrüchen seit 2019 mit dem Velo unterwegs und waren nur wenige Tage vor uns ebenfalls bei Stacey zu Gast. Sie führten uns in die Geheimnisse von Hope ein, zeigten uns den Übernachtungsplatz, das sauberste Plumpsklo und den Wasserhahn😉.

Nach dem fröhlichen Wochenende fuhren wir wie auch Salome und Dan von Hope weiter in Richtung Seward, wo wir uns gleich zweimal vor dem Supermarkt begegneten. Wo treffen sich sonst nimmersatte Velofahrer😊? Für unseren Kurzaufenthalt in Seward erwischten wir ein ziemlich trockenes Wetterfenster und konnten die tollen Aussichten aufs Dorf sowie auf den Exit Glacier geniessen. Dazwischen verbrachten wir sehr viel Zeit in einem warmen Café und überprüften unaufhörlich die Wetterprognosen, um einen möglichst angenehmen Plan für die Weiterfahrt zu schmieden. Das war ziemlich schwierig, denn mit 5’450mm Jahresniederschlag ist es «always shittier in Whittier» und genau dort wollten wir hin. Wir mussten einsehen, dass wir in Alaska falsch sind, wenn wir nur an sonnigen Tagen velofahren wollen und machten uns auf den Weg.

Tatsächlich begann es schon vor Whittier ganz ordentlich zu schütten. Mangels Alternative schlugen wir nachmittags gegen 16 Uhr im Regen das Zelt auf und kochten später in windiger Kälte unter einer Brücke. Ein Moment, in dem es Spassigeres gibt, als mit Velo und Zelt unterwegs zu sein. Am nächsten Morgen regnete es nicht mehr senkrecht, sondern waagrecht! Zum Glück mussten wir bis Whittier nur etwa 20 Kilometer zurücklegen und für die Durchquerung eines Tunnels eine Mitfahrgelegenheit finden. Irgendwie schafften wir beides und unser «Chauffeur» setzte uns direkt am Hafen in Whittier ab. Bei einem heissen Kaffee im warmen Hafengebäude waren Kälte und Nässe schnell vergessen. Erst recht, als wir Salome und Dan wiedersahen, die gerade dabei waren, ihre durchnässten Schuhe mit Papier auszustopfen und zu unserer Bewunderung noch immer ganz vergnügt wirkten!

Gemeinsam nahmen wir die vierstündige Fähre von Whittier nach Valdez. Auf dem Schiff machten wir Gebrauch von der warmen Dusche und freuten uns sehr, als sich die Wolken lichteten und uns in Valdez freundliches Wetter empfing. Salome und Dan fuhren am Abend direkt weiter, während wir einen grösseren Einkauf tätigten und etwa eine Stunde damit verbrachten, unsere Vorräte in den Bärenkanistern zu verstauen. Den knappen Platz in den Bärenfässern möglichst effizient auszunutzen, will geübt sein. Das Tetrisspiel macht zwar Spass, ist aber auch sehr zeitaufwändig und frustrierend, wenn frisches Gemüse und Obst zu sperrig sind.

Abgesehen davon, dass wir uns beim Einkaufen einschränken müssen, gibt es auch andere Dinge, an welche wir uns noch gewöhnen müssen: Streckenangaben in trügerischen Meilen und Fuss, Temperaturen in Fahrenheit sowie Mengen in Unzen oder Pfund. Nicht nur die Einheiten, auch die Dimensionen sind etwas anders: ein grosser Kaffee enthält 24 Unzen, d.h. 7dl und ein mittelgrosses Cookie misst 5 Zoll, also 13cm😉. Ebenfalls völlig neu für uns ist, dass es niemals dunkel wird und wir bei Tageslicht schlafen müssen oder auch bis 24 Uhr Velofahren könnten. Hinzu kommt, dass wir unsere eingespielte Campingroutine dem Bärengebiet angepasst haben: Wir kochen nicht mehr am Übernachtungsplatz, sondern einige Kilometer davor. Bären haben wir übrigens erst als Billardtisch-Abdeckung oder Wandbehang gesehen.

Von Valdez aus führte unsere Route in die wunderschöne Bergwelt hinein und hinter dem Thompson Pass erwartete uns sogar Sonnenschein. Genial! Top motiviert entschieden wir uns sehr spontan, das zweieinhalbtägige Schönwetterphase (d.h. kein Regen) auszunutzen und einen Abstecher in den Wrangell-St.Elias Nationalpark zu tätigen. Doch der Schwung aus unserem Blitzentscheid reichte nicht einmal bis zur Hälfte der Stichstrasse, geschweige denn für den 100 Kilometer langen Schotterabschnitt.

Im ziemlich heruntergekommenen Örtchen Chitina besuchten wir zum Aufwärmen und Energietanken die Taverne, welche auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Wir verbrachten wohl weit mehr als eine Stunde wortlos an der Bar und hörten amüsiert den Gesprächen der fünf Gäste und des Barmanns zu. Sie erinnerten sich an die guten alten Zeiten, als in den 70er Jahren das Leben in den USA noch viel besser und freier von Regeln war. Da durften Kinder noch ihre Waffen in die Schule mitnehmen, um auf dem Heimweg direkt auf die Jagd zu gehen. Und wenn es mal ein Gerangel gab und einer sein Gewehr auf den anderen richtete, wurden ein paar heftige Faustschläge ausgeteilt, die Waffe flog über den Schulhof und damit war die Sache erledigt. Heute wird Kindern schon mit der Schulsuspension gedroht, wenn sie ein Messer dabeihaben oder ihr Kuchen wie eine Pistole aussieht… Welcome to America. Um den Moment noch authentischer zu machen, schenkte uns der Barmann zwei Lose der alaskischen Lotterie, der einzigen legalen Form des Glücksspiels im Bundesstaat. Ich hätte mit meinem Ein-Dollar-Los wirklich einen Dollar gewonnen und wollte ihn dem Barmann schenken. Nein, nein, so funktioniere es nicht! Normalerweise würden die Leute das Geld direkt in neue Lose investieren, um ihre Gewinnchance zu maximieren. Hahaha, so geht das😊.
Beim Verlassen der Taverne beschlossen wir, nur wenige Kilometer weiter zu einem Gratiscampingplatz zu radeln, dort zu übernachten und am nächsten Morgen mit frischen Beinen die Fahrt in Richtung McCarthy fortzusetzten.

Gesagt, getan. Die 100km lange Piste bis nach McCarthy war anstrengend… Dieses Kaff am Ende der Strasse musste wirklich etwas bieten, um eine solche Anfahrt zu rechtfertigen! Das tat es sehr wohl… Wow, dieses 360-Grad-Panorama war selbst bei bedecktem Himmel einfach sensationell! Und weil man mit dem Auto nicht direkt ins Dörfchen fahren kann, hat McCarthy trotz Tourismus seinen Charme behalten. Im General Store stärkten wir uns mit ein paar Süssigkeiten und Kaffee, bevor wir am Abend noch die ehemalige Kupfermine von Kennicott besichtigten und etwas näher zum Root Gletscher spazierten. Hundemüde aber höchst zufrieden legten wir uns ins Zelt und schliefen herrlich ein.

Weil bald schlechtes Wetter eintreffen sollte, packten wir am nächsten Morgen alles zusammen und machten uns auf den Rückweg zur Hauptstrasse. Damit waren wir anderthalb Tage beschäftigt. Glücklicherweise holte uns der Regen erst in Glennallen ein. Dieses Dorf war kein Höhepunkt, es bleibt uns aber wegen den (hoffentlich) teuersten Haferflocken unserer Reise, der heissen Dusche im Waschsalon (danke für den Tipp, Salome und Dan!) und der gemütlichen Bibliothek, in welcher wir unser Picnic ausbreiten durften, in Erinnerung. Wir hatten es nicht eilig, ins kalte, nasse Wetter hinauszufahren und blätterten lieber noch etwas im Guinness Book of World Records. Es war bereits nach 17 Uhr als wir endlich los pedalierten.

Dank des endlosen Tageslichts schafften wir es weit genug, um die Ortschaft Palmer in weiteren zwei Tagesetappen erreichen zu können. Der Glenn Highway zwischen Glennallen und Palmer war uns als die schönste Strasse Alaskas empfohlen worden. Auf den Regen folgte tatsächlich ein prächtiger Sonnentag und wir bekamen vom unglaublichen Panorama der Chugach Gebirgskette fast nicht genug! Als wären die Ausblicke von der Strasse aus nicht schon eindrücklich genug gewesen, rangen wir uns um 18 Uhr auch noch zu einer kurzen Wanderung auf den Lions Head durch. Zum Glück! Die Aussicht über den Matanuska Gletscher bei herrlichem Sonnenschein war einfach phänomenal! Einmal mehr beendeten wir eine Etappe todmüde erst nach 23 Uhr… am helllichten Tag😉. Die kurze «Nacht» nahmen wir allerdings sehr bewusst in Kauf, denn am nächsten Morgen wachten wir wieder im kalten Regenwetter auf, die Berge um uns herum frisch verschneit. Wir waren froh, dass Palmer nur eine halbe Tagesetappe entfernt war und wir dort ein warmes Plätzchen in Aussicht hatten.

Nach einem langen Aufenthalt im Supermarkt suchten wir unsere Warmshowers-Gastgeber Merry und Mark auf. Als wären wir alte Bekannte, wurden wir herzlich empfangen und bezogen das schöne Gästezimmer. Geduscht und mit frischen Kleidern durften wir uns an den gedeckten Tisch setzen. Die ehemaligen Berufsfischer verwöhnten uns mit feinstem alaskischen Lachs. Mmmh… herzlichen Dank, Merry und Mark!

Die Pause in Palmer tat uns sehr gut, wir genossen das warme Zuhause, die gemeinsamen Mahlzeiten und die interessanten Gespräche. Zudem konnten wir im abgedunkelten Zimmer richtig gut und tief schlafen! Heute Morgen verabschiedeten wir uns fast etwas wehmütig von unseren wunderbaren Gastgebern und sitzen nun in einem Café, um diesen Blog fertigzustellen. Ab morgen sehen die Wetteraussichten hervorragend aus und wir können es kaum erwarten, mehr von Alaska zu entdecken!