Bereits am Tag nach unserer Ankunft in Haifa fuhren wir zu unserem ersten Freiwilligeneinsatz in der Nähe von Tiberias am See Genezareth. Unsere Gast- und Arbeitgeber waren enthusiastische Hydroponiker mit viel Innovations- und Pioniergeist.


«Hydro-WAS?» …  haben wir uns gefragt, als wir die Beschreibung des Workaways gelesen haben. Eine kurze Recherche zum Thema hat unser Interesse geweckt…

Hydro- und Aquaponik

Die Hydroponik bezeichnet den Anbau von Gemüse/Pflanzen (fast) ohne Erde. Zuerst werden Samen und Setzlinge auf einem erdigen Floss grossgezogen, bevor sie in ein Rohrsystem umgepflanzt werden. Die Wurzeln der Pflanzen hängen direkt ins Wasser. Um Staunässe und Fäule zu verhindern, werden die Rohrsysteme laufend durchspült. Das Wasser ist mit Nährstoffen angereichert und wird rezykliert. Wenn die Temperatur stimmt und die Röhrensysteme gut gewartet werden, liefert Hydroponik hohe Ernteerträge bei geringem Wasser-, Nährstoff- und Pestizidverbrauch. Bei Aquaponik werden zudem Fische gehalten, welche im gleichen nährstoffreichen Wasser gedeihen. Die Fisch-Scheisse dient als Dünger für die Pflanzen (denen ist es egal😉).
Wenn jemand im Garten selbst mit Hydroponik experimentieren möchte, können wir diese Anleitung empfehlen (Anleitung ab Seite 209):
Small-scale aquaponic food production

Die Vision unserer Gastgeber war es, die Menschheit zu fairen Preisen mit gesunden, frischen Lebensmitteln aus nachhaltiger Produktion zu versorgen. Was uns schon fast missionarisch indoktriniert wurde, stand im krassen Widerspruch zu dem, was wir täglich auf dem Betrieb sahen und taten. Statt die verschiedenen Arbeitsschritte zu vereinfachen und das Gemüse zu erschwinglichen Preisen in der Region zu verkaufen, wurde eine neue Geschäftsidee mit supergrünen Shakes entwickelt. Die Shakes sollen ein vollwertiges Frühstück ersetzen, den Körper entgiften und dafür sorgen, dass weniger «böse» Kohlenhydrate konsumiert werden – das bescheidene Motto lautet «Heal the Nation».
Im sündhaft teuren Shake-Kit sind nur die grünen Blätter inbegriffen. Die restlichen Zutaten wie Nüsse und Äpfel (für den Geschmack) muss der Kunde selbst beisteuern. Die Idee könnte den Zeitgeist in Israels fitness- und gesundheitsbegeisterten Städten sehr gut treffen, uns vermochte sie aber weder zu überzeugen noch bis zum Zmittag satt zu machen😉. Weil für die supergrünen Shakes nur perfekt schöne Blätter gut genug sind, wurde auf dem Betrieb haufenweise Gemüse entsorgt.

Wir waren froh, dass wir uns oft den drei thailändischen Gastarbeitern anschliessen durften und ihnen beim (Um)Pflanzen und ernten helfen konnten. Die thailändische Fröhlichkeit war so ansteckend und der Thai-Pop so mitreissend😉, dass wir uns ernsthaft überlegen, einen Abstecher nach Südostasien zu machen…

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Zwischen den Arbeitstagen führte uns ein Wochenendausflug in die wunderbar herbstfarbenen Golanhöhen und mit Blick nach Syrien. Nach knapp zwei Wochen Hydroponik packten wir unsere Taschen und fuhren vom See Genezareth eine sehr lohnenswerte Route durch das Westjordanland ans Tote Meer auf -430 Meter. Selbstverständlich durfte das Bad im salzigen Wasser nicht fehlen. Es ist wirklich so, dass man hier nicht untergehen kann… die Beine kommen – blubb – einfach hoch, wenn man nicht fest am Boden steht, ein lustiges Erlebnis😊. Auch die Empfehlung, nur mit Sandalen ins Wasser zu steigen, ist wegen den scharfen Salzkristallen ernst zu nehmen.

Ganz generell brauchten wir etwas Zeit, um in Israel den Rank zu finden. Alles schien uns überaus kompliziert und teuer zu sein. Beispielsweise existieren für Ortsnamen viele verschiedene Schreibweisen und Aussprachen, Rinder können vier unterschiedliche Ohrmarken und zwei Brandmarken haben, Cafés mit offenen Türen, vollen Vitrinen und anwesenden Angestellten sind nicht unbedingt geöffnet etc.
Obwohl biologische Lebensmittel sehr beliebt sind, wird Gemüse einzeln verpackt und die Herkunft wird nicht deklariert. Sehr viele Lebensmittel werden im Geschäft oder vom vollen Teller weggeschmissen, obwohl sie horrend teuer sind: In kleinen Läden kostet Müesli 10.- Fr./Kilo, ein kleines Joghurt 2.- Fr., Äpfel 5.50Fr./Kilo, ein Brot ca. 6.- Fr. und 100g Käse 9.- Fr.. Inzwischen haben wir uns an die Preise gewöhnt und unsere Diät von Käse auf Humus und von Äpfeln auf Datteln umgestellt😉.

Die Verwirrung ist allmählich einer Faszination für die unterschiedlichen Kulturen, Religionen und polarisierenden Weltanschauungen gewichen. Ganz besonders begeistert sind wir von der Freundlichkeit und Warmherzigkeit der Leute. Täglich werden wir von interessierten Menschen angesprochen und erfahren am Strassenrand viel über ihr Leben, ihre Ansichten und Sorgen.

Vor dem nächsten Freiwilligeneinsatz in Revadim reichte die Zeit noch für einen Abstecher in die wunderschöne Negev-Wüste. Die Ausblicke von Mitspe Ramon in den grössten Erosionskrater der Welt und von Midreshet Ben-Gurion ins Zin Valley haben uns am allerbesten gefallen. Unterwegs sahen wir einige wilde und nicht mehr so wilde Tiere: Steinböcke haben beispielsweise herausgefunden, dass die Nahrungssuche in den Grünanlagen der Städte und Dörfer am einfachsten ist. Und eine Katze hat bemerkt, dass es in unserem Vorzelt gemütlich ist. Sie wäre am liebsten zu uns ins Zelt gekommen, was unsere empfindlichen Daunenschlafsäcke aber nicht goutiert hätten😉.

Dank Warmshowers hatten wir die Gelegenheit, bei einem sehr liebenswürdigen, engagierten Ehepaar in einem «ursprünglichen» Kibbuz zu übernachten (Kibbuz = genossenschaftliche Siedlung mit wenig Privateigentum, in welcher das tägliche Leben kollektiv organisiert ist). Auf einem Velorundgang zeigte uns Mike, wo gemeinsam zu Mittag gegessen, die Wäsche des Dorfes gewaschen und ohne Bargeld (mit Kibbuz-Guthaben) eingekauft wird. Von ca. 250 Kibbuzim in Israel verfügen nur noch etwa ¼ über die ursprüngliche sozialistisch inspirierte Kultur (wie sie in dieser Reportage geschildert wird).
Nach 5 Tagen Velofahren erreichten wir unseren aktuellen Arbeitsort in Revadim, einem privatisierten Kibbuz. Hier helfen wir zwei Wochen beim Fabrizieren von Bienenstöcken, Gärtnern, Schreinern und Aufräumen…