Die liebenswürdigen Kasachen setzten in den letzten beiden Tagen nochmals alles daran, dass wir sie und ihr Land in bester Erinnerung behalten. Auf der Stadtausfahrt aus Oskemen fragten uns zwei Polizisten (aus Neugier) woher wir kommen, wohin wir gehen, etc… Kurz nachdem wir die Fahrt wieder aufgenommen hatten, folgte uns ein Polizei-Lada und es tönte via Megaphon «…Velosipedistji…, Velosipedistji…». Etwas perplex hielten wir an… die beiden Polizisten hatten das Selfie mit uns vergessen😊.

Wenig später wollten wir unser Zmittag mit ein paar Leckereien aus einem kleinen Dorfladen aufwerten und uns nebenan unter die Bäume legen. Ich hatte gerade die Mätteli für den Mittagsrast ausgebreitet, als David mit dem Einkauf und einem Schreibheft zurückkam. Die Verkäuferin führte ein Gästebuch, in welchem wir uns als fünfte Touristen seit 2012 eintragen durften. Als Dankeschön bekamen wir Glace und Schoggi geschenkt, erhielten Besuch von ihrem Englisch sprechenden Sohn und einer anderen Dame, die uns ebenfalls Süsses mitbrachte.

In Shemonaikha, der letzten Ortschaft vor der russischen Grenze, wechselten wir unser kasachisches Geld in Rubel. Denn aufgrund von Sanktionen funktionieren unsere VISA/Mastercard-Bankkarten in Russland nicht. Erst als wir am Dorfausgang eine Tankstelle passierten, erinnerten wir uns an die leere Benzinflasche unseres Kochers. In der Hoffnung, wir könnten mit Karte bezahlen, fuhren wir zur Tankstelle. Nein, Kartenzahlung sei nicht möglich aber der Chef der Tankstelle würde uns den halben Liter Benzin offerieren. Dazu gab es Kaffee nach Wahl😊. Von viermal Tanken in Kasachstan war das Benzin dreimal geschenkt.

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Um die Mittagszeit erreichten wir den Grenzposten. Bei der Ausreise aus Kasachstan wurden wir unüblich ausführlich befragt. Der Beamte interessierte sich für unsere Route und Fotos, dabei ging der Ausreise-Stempel fast vergessen. Nach ungefähr einer Stunde fuhren wir zum russischen Grenzposten weiter, vor welchem es bereits eine lange Autoschlange gab.
Als Velofahrer konnten wir an den wartenden Motorfahrzeugen vorbeifahren und uns zuvorderst einreihen😊. Weil nur wenige Fahrzeuge im Kontrollbereich erlaubt waren, warteten wir an der prallen Sonne bis sich die Barriere öffnete.

Ein freundlicher Grenzoffizier befragte uns zwei Stunden lang über unsere Reiseroute, Ausbildung, Beruf, Familie und Militärdienst. Die Antworten tippte er in eine Word-Datei ein, welche er zum Schluss ausdruckte. Exakt die gleichen Fragen stellte uns ein FSB-Mitarbeiter, protokollierte alles in einer anderen Word-Datei und druckte diese aus. Ob die Unterlagen jemals angeschaut werden😊?
Nicht dokumentiert wurde übrigens unsere Meinung zum Krieg in der Ukraine: Wir wichen aus und gaben an, uns nicht für Politik zu interessieren.

Am späten Nachmittag hatten wir die Einreisestempel im Pass und durften nach einer rudimentären Gepäckkontrolle nach Russland einreisen!

Die 400km bis Biysk gehörten zu den langweiligsten unserer bisherigen Reise. Die Strasse führte durch endloses Agrarland. Das aussergewöhnliche und unerwartete Desinteresse der Leute sowie die kaum vorhandenen Einkehrmöglichkeiten brachten keine zusätzliche Abwechslung. Wir hatten den Eindruck, den Menschen sei seit Generationen ein neugieriges Interesse abgewöhnt worden. Man weiss, sieht und hört lieber nichts, was einem irgendwie zum Verhängnis werden könnte. Am einfachsten scheint das Leben, wenn man im Garten seine Kartoffeln pflanzt und nicht über den Zaun schaut, um in der Weite und Masse unterzugehen. Vom Krieg in der Ukraine war kaum etwas sicht- oder spürbar. Nur das furchtbare Wagner-Logo (ein Totenkopf) sowie vereinzelte «Z» auf Heckscheiben von Autos deuteten darauf hin. Augenfällig waren auch die Baumstämme vor dem einen Café in Biysk, welche «zufällig» blau und gelb gefärbt waren.

Eine Riesenfreude war hingegen das Sortiment in den russischen Supermärkten! Erstmals seit Baku konnten wir in einem einzigen Laden alles finden, was wir uns wünschten. Wir mussten uns zurückhalten, keine Hamsterkäufe zu tätigen, weil es im nächsten Dorf bestimmt wieder einen gut ausgestatteten Supermarkt gab. Eine Wohltat😊!

Biysk besuchten wir nur, weil wir uns innerhalb der ersten sieben Tage in Russland durch eine Hotelübernachtung registrieren mussten. In der Stadt gab es ausser der einzigen Leninstatue im Wintermantel nicht viel zu sehen. Wir fanden ein freundliches Hostel, genossen die netten Cafés und ich liess mir einen schlechten Haarschnitt verpassen. Die Registrierung klappte einwandfrei, sodass wir am nächsten Morgen weiterreisen durften.

Auf Anraten eines lokalen Velofahrers nahmen wir statt der befahrenen Hauptstrasse eine ruhige Nebenstrasse Richtung Altaigebirge. Nach einem halben Tag erreichten wir die ersten Hügel. Die Landschaft verwandelte sich langsam von bewaldetem Bergland zu weiten, kargen Hochtälern mit Schneebergen im Hintergrund. Die wunderschöne Altai-Region ist für Natur- und Outdoorliebhaber ein Paradies!
Zahlreiche einheimische Touristen verbrachten in dieser Gegend ihre Ferien beim Campen. Unter den vielen Besuchern waren auch einige russische Velo- und Töfffahrer, mit denen wir uns dank einigen Worten Englisch (ihrerseits) und ein paar Worten Russisch (unsererseits) unterhielten. Sie wärmten unser Bild der kalten Sibirier sehr auf.

In Kosh Agach nutzten wir die letzte Gelegenheit, in einem gut bestückten russischen Supermarkt für fünf Tage Vorräte einzukaufen. Schwer beladen fuhren wir zum Grenzort Tashanta. Unterwegs wurden wir von einer Polizeipatrouille gestoppt, welche unsere Grenzzonen-Bewilligung sehen wollte… Eine Bewilligung, wofür? Zum Glück können wir kein Russisch, sodass uns die Polizei nach einigen Minuten passieren liess😊.

Wer nicht zum Fotografieren des Ortsschildes nach Tashanta kommt, will bestimmt die Grenze in die Mongolei überqueren und stellt dafür sein Auto über Nacht in die Schlange vor der Schranke. Wir campierten auf einem Feld am Dorfrand, profitierten heute Morgen vom Velofahrer-Bonus und fuhren um 7:00 Uhr an vielen geparkten Autos und Lastwagen vorbei. Wie wir feststellten, waren wir zwei Stunden vor der Öffnung des Grenzpostens die einzigen Personen auf den Beinen. Viele lokale Autos dienten nur als Platzhalter; erst knapp vor 9:00 Uhr kamen die tatsächlichen Grenzquerer, welche sich die Wartezeit ersparten. Vor den geschlossenen Schranken an der Russisch-Mongolischen Grenze nutzen wir die Wartezeit, um diesen Bericht vorzubereiten. Wir sind sehr gespannt, was uns im Grenzposten und danach in der Mongolei erwartet.

Dieser Beitrag wurde am 24. Juli 2023 geschrieben und am 7. Oktober 2023 publiziert.