Im letzten Bericht über Russland haben wir uns noch darüber amüsiert, dass wir bei der Einreise den Mitarbeitern der Grenzbehörde und des FSB die gleichen Fragen beantworten mussten und unsere Antworten je in eine Worddatei eingetragen wurden. Wir gingen davon aus, dass unsere Angaben irgendwo in der Datenflut untergehen und nie wieder auftauchen.

Damit lagen wir falsch: Nach der unkomplizierten Ausreise aus der Mongolei fuhren wir auf russischer Seite wie gewohnt an der Autoschlange vorbei und erhielten nach kurzer Wartezeit Einlass in den Kontrollbereich. Wir staunten nicht schlecht, als uns die Dame am Schalter nach unseren Zweitpässen fragte und unsere Reiseroute bereits kannte!

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Im ersten Supermarkt in Russland waren wir noch hauptsächlich von mongolischen Kunden umgeben, die hier günstigere Lebensmittel kauften, z.B. 200kg Zucker😊.
Nicht nur die Shoppingtouristen, auch die lokale Bevölkerung (44% Buratier, 53% Russen) wirkte deutlich fröhlicher und herzlicher war als in der Gegend um Biysk.

Auf dem Weg nach Ulan-Ude liessen wir und den Besuch des Klosters Ivolginsk nicht entgehen. In den farbenfrohen Tempeln fielen uns insbesondere die grosszügigen Essensspenden auf: Reis, Honig, Milch, Güetzi, Schokolade, Orangen, Bananen, … schmunzelnd fragten wir uns, ob sich die Götter über die extra für sie geöffnete Packung Neapolitaner-Waffeln freuen😉?

Ulan-Ude erreichten wir im strömenden Regen und, da Russland von den meisten Buchungsplattformen und vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen ist, leider ohne vorgängige online-Reservation einer Unterkunft. Pflotschnass mussten wir vor Ort bei Hostels anfragen, ob sie uns und unsere Velos unterbringen könnten. Zusätzlich benötigten wir erneut eine obligate Registrierung. Nachdem wir bei den ersten drei Unterkünften erfolglos geblieben waren, konnten wir nicht mehr wählerisch sein und nahmen, was es gab: zwei Betten in einem 8er-Zimmer, welches wir in der ersten Nacht mit einem TV-Süchtigen teilten. In der zweiten Nacht kam ein Schnarcher und in der dritten Nacht ein schlafloser Alkoholiker dazu… Es fiel uns entsprechend sehr leicht, das Hostel zu verlassen und trotz wenig Schlaf mit viel Motivation Richtung Baikalsee aufzubrechen.

Ein Mitglied der Warmshowers-Plattform organisierte für uns die Bootsüberfahrt ab Turka auf die Insel Olkhon. Sehr unkompliziert nahm uns ein Ausflugsboot auf die vierstündige Überfahrt mit. Am frühen Nachmittag landeten wir in der Uzuri Bucht, von welcher aus wir zwei Aussichtspunkte über die eindrücklichen Steilklippen erwanderten. Für die ca. 70km lange Fahrt vom Norden in den Süden der Insel nahmen wir uns zwei Tage Zeit, was angesichts der sandigen Pisten angebracht war.

Vom Süden der Insel wollten wir mit dem Tragflügelboot nach Listvyanka fahren und uns die 400km lange Strecke auf dem Landweg nach Irkutsk sparen. Als wir nach einem Vormittag mühsamer Holperfahrt das Südende erreichten, kam kurz Verwirrung auf: Niemand wusste vom Tragflügelboot, welches von hier nach Irkutsk fahren sollte… Jemand sagte, wir müssten zurück in den Hauptort Khuzhir! Die Auskunft einer anderen Dame «the rocket goes to the sun» machte die Situation für uns nicht klarer😊. Wir sahen uns bereits die Kilometer zurückradeln, vertrauten aber unserer vorgängigen Recherche und gönnten uns erstmal einen Kaffee. Es stellte sich heraus, dass das Tragflügelboot (in der Umgangssprache «Rocket»😊) einige Kilometer weiter nördlich an- und ablegen sollte. «The rocket goes to the sun» war vielleicht einfach russischer Humor😀. Beruhigt pedalierten wir über den Hügel zurück zu einem alten Lastenkahn, der als Landesteg diente. Tatsächlich hatte dort ein Tragflügelboot angelegt.
Sehr erleichtert warteten wir am «Hafen» auf den fünfstündigen Flug in der Rakete nach Listvyanka😊.

Die Strecke zwischen Listvyanka und Irkutsk war eine unaufhörliche Hügelfahrt… 1km bergauf, 1km bergab, im Tal eine 100m lange Brücke, aber sonst kein flacher Meter. Wir wollten nach den Aufstiegen gar nicht mehr über die Kuppen schauen, weil von dort bereits der nächste Bergpreis zu sehen war. Gut, dass der Besuch des Freilichtmuseums Tal’tsy für eine Pause sorgte!
In Irkutsk fanden wir eine tolle Unterkunft, konnten Wäsche waschen und durch die attraktionsarme Stadt bummeln. Hier beendeten wir unsere Baikal-Ferien und begannen die 4000km lange Strecke nach Vladivostok. Um hoffentlich dem Winter zu entkommen, rechneten wir mit Tagesetappen von mindestens 100km. Ruhetage können wir verdienen, indem wir unsere Vorgaben übertreffen. So funktioniert unsere Planwirtschaft😊. Ob dieses Ziel zu sportlich ist, wird sich zeigen…

Auf dem Abschnitt von Irkutsk nach Chita wollte es uns Sibirien nicht zu einfach machen. Jeden Tag hatten wir es mit einer beliebigen Kombination aus endlosen Hügeln, Gegenwind, Mücken, Piste oder Regen zu tun😉.

Zudem war das Südufer des Baikalsees landschaftlich enttäuschend. Wald versperrte die Sicht aufs Wasser und auf der engen Strasse war der viele Verkehr unangenehm. Auch die Nächte zwischen Transsib mit Güterzügen im Minutentakt und Hauptstrasse waren nicht speziell erholsam.
Das Klima und die Windverhältnisse am See sorgten jedoch für ein geringes Mücken-Aufkommen. Dies wussten wir erst zu schätzen, als wir das Gebiet verlassen hatten und selbst unsere vierstufige Abwehrstrategie bestehend aus langer Kleidung, Spray 1 für die Haut, Spray 2 für die Kleidung und Rauchspiralen fehlschlug. An ein gemütliches Znacht im warmen Abendlicht war nicht zu denken. Ganz besonders viel Mut brauchte jeder Toilettengang, der zu unzähligen Mückenstichen am Füdli führte.

Von Ulan-Ude nach Chita wählten wir die kürzere und flachere Nebenstrasse über Khorinst und Sosnovo-Ozerskoye. In den ersten Tagen pedalierten auf der kleinen Asphaltstrasse durch wunderschöne, herbstlich gefärbte Moorgebiete. Ab Sosnovo-Ozerskoye wurde die Strasse unerwarteterweise holpriger und schliesslich zur sandigen Piste. Für unsere Frage nach Asphalt hatte ein Tanklastwagenfahrer nur ein schadenfrohes Lächeln übrig🙄. Nur blauäugige Touristen können auf die Idee kommen, dass in Sibirien andere Strassen als die Hauptrouten befestigt sind. Ab Romanovka begann der Regen, welcher die Piste in eine Schlammbahn verwandelte. Läck, waren wir froh, als wir ab dem Provinzwechsel von Buratien nach Chita wieder Asphalt unter die Räder bekamen!

Unserer vermeintlichen Abkürzung verdankten wir jedoch viele herzliche Begegnungen in den kleinen Dörfern. Oft wurden wir nach unserer Herkunft und Route gefragt (das Einzige, was wir auf Russisch verstehen😉), viele Autofahrer winkten oder hupten uns aufmunternd zu und wir fühlten uns in der Republik Buratien sehr willkommen!

Dieser Beitrag wurde am 4. September 2023 geschrieben und am 7. Oktober 2023 publiziert.