Die nächsten 2000km führten uns auf dem Amur-Highway um den Buckel der äusseren Mantschurei von China herum. «Amur» kommt übrigens nicht aus dem Französischen, sondern vom riesigen Fluss Amur, welchen wir bis vor Khabarovsk niemals sahen. Die Strecke war nicht wirklich unsere grosse Liebe, denn sie bot nichts… Hätten wir die Augen nach Chita geschlossen und 20 Tage später vor Khabarovsk wieder geöffnet, wäre keine grosse Veränderung sichtbar gewesen😉.

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Als Vorbereitung auf die lange Strecke füllten wir unsere Smartphones mit Podcasts und zeichneten alle 70 Einkehrmöglichkeiten (wovon sich 10 als geschlossen oder inexistent entpuppten) auf mapy.cz ein. Die ersten Tage waren sehr hügelig mit jeweils über 1000 Höhenmetern ohne echte Pässe. Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite mit Sonnenschein, angenehmen Temperaturen am Tag und wenigen Minusgraden in der Nacht. Mit wunderbarer Herbststimmung und ohne Mücken kamen wir bestens voran. Die Znünihalte in den Cafés boten genügend Abwechslung, sodass wir die schönen Tage ohne Stöpsel im Ohr genossen. Jeden Abend schauten wir uns den Fortschritt an und bestimmten die Anzahl Kilometer bis zum nächsten Restaurant. So blieben wir motiviert und zufrieden😊.

Abgesehen von einigen Elefantenrennen auf der Gegenfahrbahn, vor welchen wir ins Kiesbett flüchteten, waren Verkehr und Strasse sehr angenehm. Zum Einkaufen mussten wir alle 300-400km einen Abstecher in ein Dorf machen, da diese an der Transsibischen Eisenbahn und nicht am Amur-Highway lagen. Wir suchten jeweils die nahegelegensten Dörfer, um uns lange, unbefestigte Zufahrtswege zu sparen. Die Tante-Emma-Lädeli boten alles, was wir benötigten. Sonst hielt uns nichts in den trostlosen Weilern, die (vielleicht?) schon bessere Zeiten gesehen haben. Eine Ausnahme war Tsiolkovsky. Im App waren dort viele Geschäfte eingezeichnet und die riesige Autobahnabfahrt sowie der herausgeputzte Bahnhof liessen Einiges erwarten… Nur kamen wir leider nicht weiter als bis zum gesicherten Zugangstor. In der Nähe von Tsiolkovsky befindet sich der neue russische Raumbahnhof und das Dorf ist nur autorisierten Personen zugänglich. Zwei Tage zuvor hatte hier ein Gipfeltreffen zwischen Wladmimir Putin und Kim Jong Un stattgefunden😊!

Ab dem nördlichsten Punkt des Buckels wurde die Strecke zwar flacher, die vielen identischen Tage und häufigeres Regenwetter nagten aber an den Nerven und Kräften: Um 6:00 aufstehen, nasses Zelt abbauen, Zmorge; 7:30 Abfahrt; +/- nach 50km ausgedehnte Znünipause; +/- bei 80km Mittagspause; +/- nach 100km Zvieripause; 18:30 Zeltplatz finden, Zeltaufbau, waschen, kochen, essen, Fortschritt anschauen; 21:00 schlafen…

Wir mussten uns eingestehen, dass wir das Reisen gerade nicht so sehr genossen und es primär ums Vorwärtskommen ging. Podcasts waren eine gute Ablenkung, kapselten uns aber auch von der Umgebung ab. Aber abgesehen von ein paar Wortwechseln beim Einkehren, Tanken oder Einkaufen bot die Umgebung nicht viel… Weil unsere paar Wörter Russisch keinesfalls für eine Konversation reichten und die Leute hier weder Englisch sprachen noch den Translator benutzten, waren unsere Gespräche immer sehr rudimentär. Ab und zu waren wir aber auch froh um diesen Umstand: wenn sie nämlich ihren Präsidenten rühmten oder auf unserer Weltkarte Aserbaidschan als Russland bezeichneten. Selbst die gelegentlichen Warnungen vor Bären sorgten für keinen Nervenkitzel mehr. Auf der gesamten Fahrt durch Russland sahen wir kein einziges Wildtier oder auch nur Anzeichen davon. Aber dem berühmten Amur-Tiger begegneten wir… als Plastikattrappe😉.

Nach 18 Tagen erreichten wir endlich(!) Khabarovsk, die erste Stadt seit 2201 km. Weil wir unser Tagessoll von 100km überschritten hatten, konnten wir uns ein paar Ruhetage leisten😉. Dummerweise kamen wir am Wochenende in Khabarovsk an und hatten Mühe, eine Unterkunft zu finden. Erst im sechsten Anlauf fanden wir dank der anwesenden Putzfrau ein merkwürdiges Minihotel ohne Anschrift oder Réception.
Von Khabarovsk mit seinem lebendigen Zentralmarkt, der schönen Promenade und dem öffentlichen Konzert auf dem Leninplatz waren wir sehr positiv überrascht. Wir genossen unsere Ruhetage sehr und gönnten unseren Kleidern und Velos einen längst überfälligen Putz.

Dieser Beitrag wurde am 24. September 2023 geschrieben und am 7. Oktober 2023 publiziert.