Bisher hatten längere Fährpassagen stets einen grösseren Szenenwechsel mit sich gebracht. Diesmal befanden wir uns nach dreistündiger Überfahrt immer noch in Japan und das war gut so… denn es gibt in diesem Land noch sehr viel zu sehen, z.B. die Insel Shikoku.

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Am Morgen nach unserer Ankunft auf Shikoku wollten wir bei Naruto eine spezielle Wirbelströmung anschauen. Leider wirbelt das Wasser in Abhängigkeit der Gezeiten und machte gerade Pause, als wir vor Ort waren. Ausser unruhigem Meer unter der Autobahnbrücke gab es nichts zu sehen. Egal, wir pedalierten zurück durchs Agglomerationsgebiet, alle paar hundert Meter an einer Ampel stoppend.

Unsere unterschiedlichen Vorstellungen über die weitere Routenwahl klärten sich von selbst, als anhaltender Regen einsetzte. Niederschlag und Kälte machten klar, dass es die Berge möglichst rasch zu queren galt, um an die Südküste zu gelangen. Zum Glück gab es in der Nähe eine Michi-No-Eki, eine von über 1000 sensationellen Raststätten bestehend aus lokalem Markt, WC, Restaurant und einem kalten aber windstillen Wartesaal mit WiFi😊. Dort konnten wir die Regenfront vorbeizeihen lassen und Zuversicht für die bevorstehende (kalte) Bergfahrt tanken. Unser Fotoshooting für die erreichte 40’000km Marke dauerte glücklicherweise so lange, dass wir es an diesem Tag bei Weitem nicht auf den 1450m hohen Pass schafften. Denn als wir am folgenden Vormittag oben ankamen, lag dort Schnee und es war -3°C kalt. Die Abfahrt war selbst in unseren wärmsten Kleidern kein Vergnügen, unsere Hände und Füsse waren eiskalt!

Im ersten Dorf machten wir Halt, obwohl es abgesehen vom geheizten WC-Ring (was für eine Wohltat😊) keinen warmen Ort gab. Aber Nagoro war einer der Gründe unserer Streckenwahl durch die Berge: Wie viele japanische Bergdörfer leidet auch Nagoro unter Abwanderung und Überalterung. Als 2012 die Schule in Ermangelung von Kindern schliessen musste, entschied sich eine Künstlerin, das Dorf mit menschengrossen Puppen zu beleben. In der Turnhalle, an der Bushaltestelle und auf dem Feld mimen die Puppen richtiges Leben. Wir konnten im Dorf herumspazieren, alle Gebäude standen offen. Das kalte, wolkenverhangene Wetter bot die perfekte Kulisse für die Besichtigung dieses gespenstigen Ortes, in dem wir beinahe die einzigen lebendigen Menschen waren.

Völlig klamm vor Kälte erreichten wir wenig später das Besucherzentrum einer historischen Brücke aus Weinranken. Die Brücke wird heutzutage mit Stahlseilen gespannt und nur noch zur Zier mit Ranken umwickelt. Trotzdem zieht sie erstaunlich viele Besucher an. Uns interessierte die warme Suppe direkt neben dem Heizpilz wesentlich mehr. Das Unangenehme an der Kälte in Japan ist für uns, dass wir nirgends vor ihr geschützt sind. Die Häuser sind zwar erdbebensicher gebaut, verfügen aber weder über Isolation, noch Doppelverglasung oder Zentralheizung. Der einzige warme Platz in einem Gebäude ist direkt unter der Klimaanlage (=Heizung) oder unmittelbar neben dem Heizstrahler. Die Mini-Märkte sind in der Regel gut windgeschützt und warm, bieten aber leider keine Sitzgelegenheiten an. Länger in diesen Shops verweilen auffälligerweise nur Männer vor dem hintersten Zeitschriftenregal … die wenig bekleideten Frauen in den Zeitschriften scheinen gut zu unterhalten😉

Die Temperaturen wurden erst an der Küste bei Kochi wieder etwas angenehmer. Wir hüteten uns davor, nochmals ins höher gelegene Landesinnere zu fahren und folgten über viele Kilometer dem buddhistischen Pilgerweg an der Küste Shikokus. Den Pilgern ist zu verdanken, dass es auf dieser Route noch mehr Infrastruktur wie öffentliche Toiletten oder Raststätten gibt als sonst. Dazu gehörte auch das Picknick-Häuschen am Hafen eines kleinen Fischerdorfes. Es diente uns als wunderbarer Zeltplatz… bis mitten in der Nacht plötzlich eine freundliche Stimme aus den Lautsprecheranlagen klang. Dies war nicht besonders überraschend, denn zu gewissen Tages- und Abendzeiten erklingen überall im Land irgendwelche Melodien (z.B. ein Weckmelodie um 6:00, Schulanfang um 8:00, Mittagszeit um 12:00, Arbeitsende um 17:00 oder Testalarm um 20:00). Von der Durchsage in dieser Nacht verstanden wir natürlich kein Wort… ausser «Tsunami». Hmmm? … David war nicht speziell beunruhigt und schlief sogleich weiter. Im Dorf schien sich die Aufregung ebenfalls in Grenzen zu halten. Ich war auch wieder eingeschlafen, als plötzlich die Polizei am Zelt «klopfte». Sie entschuldigten sich tausendmal für die Störung, sagten etwas von Erdbeben in einem anderen Land und von einem für 03:00Uhr erwarteten 1m-Tsunami. Dank der guten Übersetzungsapp der Polizei begriffen wir, dass sie uns einen anderen Campingplatz beim Tsunami-Evakuierungsplatz empfehlen wollten. Also packten wir zusammen, fuhren um 02:30Uhr ein paar Kilometer weiter, bauten das Zelt wieder auf und schliefen bis am nächsten Morgen. Nur in Japan wird man beim Wildcampen so zuvorkommend behandelt😊!

Wir genossen die Küstenfahrt im Osten von Shikoku mit den kleinen Fischerdörfchen und terrassierten Mandarinenplantagen sehr! In Sukumo hätten wir gerne die Fähre auf die Insel Kyushu genommen. Auf der Internetseite der Fährgesellschaft fanden wir den Fahrplan und die Preisliste, das Schiff war jedoch 2019 wegen unbezahlten Rechnungen versteigert worden. Weil im Land der Korrektheit eine Überfahrt mit einem Fischerboot undenkbar war, blieb uns nichts anderes übrig, als in zwei Tagesetappen ins nördlicher gelegene Yawatahama zu pedalieren. Hier sitzen wir nun im kalten Hafengebäude und warten absichtlich auf die spätere Fähre nach Beppu, um mit Strom und Internet möglichst lange am Blog arbeiten zu können😊.

Dieser Beitrag wurde am 20. Dezember publiziert.