Im leichten Schneefall pedalierten wir mit den Velokartons auf dem Gepäckträger zum Flughafen von Fukuoka. Als hätten wir noch nie eine grössere Reise unternommen, stellten wir dort fest, dass die Kartonkisten für unsere Velotaschen nicht stabil genug waren. Wir mussten sie mit Folie verstärken lassen, was den alten Herrn an der Wickelmaschine mit seinen rheumatischen Gelenken an die Belastungsgrenze brachte. Denn das Gepäck war zu schwer und wir durften später vier sündhaft teure Kilos an Übergepäck bezahlen. Immerhin hatten wir damit die letzten Yen ausgegeben und brauchten kein Geld zu wechseln😉.

Am Flughafen in Taipei waren wir nicht besonders willkommen. Nach einer Stunde werkeln, bat uns das Sicherheitspersonal, unsere Velos nicht bei der Gepäckausgabe zusammenzusetzten. Das sei hier illegal und wir müssten zuerst durch den Zoll, der sich weder für uns noch für unser Gepäck oder die Velos interessierte. Eine nebensächliche Bemerkung des Sicherheitsmannes machte uns stutzig. Er fragte uns, wie wir vom Flughafen in die Stadt kämen?! Es gäbe nur die Autobahn und Velofahren sei darauf verboten. Das konnte gar nicht möglich sein, waren wir doch gerade mitten in der Stadt gelandet. Oder vielleicht nicht?
Ein Blick aufs GPS zeigte, dass wir uns am internationalen Flughafen Taoyuan befanden und dieser 40km ausserhalb von Taipei liegt. Wie peinlich! Bei heftigem Gegenwind und Nieselregen war an diesem Abend nicht daran zu denken, noch ins Stadtzentrum zu tschaupe. Wir mussten unserem Warmshowers Gastgeber absagen und eine pragmatische Lösung finden.

Erstmal galt es, (unerlaubterweise?) aus dem Flughafengelände herauszufahren und beim nächsten Velogeschäft die Kartonboxen für drei Wochen zu deponieren. Nachdem wir beide Aufgaben gemeistert hatten, widmeten wir uns im nächsten Minimarkt mit WiFi und Kaffee der weiteren Planung. Znacht, öffentliche Toiletten und damit eine Übernachtungsmöglichkeit gab es am nahen Fischerhafen. Persistierender Gegenwind und Regen in der Hauptstadt waren gute Gründe, am nächsten Tag direkt mit der Inselumrundung im Gegenuhrzeigersinn zu starten und den Aufenthalt in Taipeh für den Schluss aufzusparen.

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Wer sich im Internet über Veloreisen in Taiwan erkundigt, stösst schnell auf die Route Nr.1, welche die Insel in 10 Tagen und 950km umrundet. Ein spezifischer Reiseführer mit Hinweisen zu Sehenswürdigkeiten und Einkehrmöglichkeiten kann gratis heruntergeladen werden. Heisse Tipps zum Schalten, Bremsen und Aufwärtsfahren sind inklusive, z.B. dass eine Steigung im kleinsten Gang einfacher geht😀. Die Strecke verläuft durchgehend auf ausgeschilderten Velowegen und die vielen Polizeistationen dienen als Raststätten, wo Wasser aufgefüllt werden kann. Wir nutzten diese vielversprechende Infrastruktur als Rahmenprogramm, welches uns Zeit für Abstecher ins Landesinnere liess.

Zuerst führte die Route durch trostloses Industriegebiet neben oder unter der Autobahn nach Süden. Schon am ersten Tag verliessen wir die Originalroute und fuhren etwas weiter landeinwärts. Die Umgebung war hier viel freundlicher und die Scharen von Töffausflüglern am Wochenende durchaus amüsant. Obwohl Weihnachten im buddhistischen Taiwan kein Feiertag ist, machte sich die Altjahrswoche mit mehr Touristen, Deko und Verkleidungen bemerkbar. Knappe Samichlaus-Kostüme waren bei Frauen auf dem Töff besonders beliebt😉.

Den Menschenmassen in der Stadt Taichung und am sehr beliebten Sun Moon Lake entkamen wir mit einem Ausflug ins bergige Teeanbaugebiet um Alishan. Speziell schön war die Übernachtung auf einer Aussichtsplattform, wo am Abend Nebelschwaden aufzogen und sich mit der Strassenbeleuchtung vermischten. Leider war es nicht nur harmloser Nebel, sondern eine Regenfront, die uns am nächsten Tag zurück an die Westküste begleitete. Zeitlich bestens abgestimmt, lichteten sich abends die Wolken, als wir bei ausschliesslich fotogenen Salzfeldern vor Tainan ankamen.

Um in Ruhe einen berühmten Nachtmarkt zu besuchen, hatten wir in Tainan eine Unterkunft gebucht, wo wir unsere Velos deponierten. Die geschäftige, fröhliche Atmosphäre um die vielen Kleider-, Spiel- und Essensstände herum war den Aufenthalt auf jeden Fall wert. Nur dass Kinder hier lebendige Fischchen und Schildkrötchen aus kleinen Wasserbecken fingen, fanden wir etwas unangebracht.

Am nächsten Morgen machte uns die Stadtfahrt in der Masse von Rollern anfänglich sehr viel Spass. Die Anfahrt nach jedem Rotlicht fühlte sich an wie der Massenstart am GP. Dass Taiwan über die grösste Rollerdichte verfügt (375 Roller pro km2), war so richtig spürbar. Ihnen ist zu verdanken, dass es häufig separate Roller-/Velostrassen gibt, dass sich Zweiräder auf einem separaten Feld zuvorderst an die Ampel stellen dürfen und dass Autofahrer insbesondere beim Abbiegen rücksichtsvoll sind.  Der Ampelsprint, welchen wir zu Beginn des Tages noch witzig fanden, brachte uns je länger desto näher an unsere Frustrationsgrenze… alle paar 100m mussten wir an einem Rotlicht warten, um dann unsere 40kg Velos wieder in Fahrt zu wuchten. Und weil das Stadtgebiet an diesem Tag nie aufhörte, waren wir von morgens bis abends im ⅔Takt unterwegs: 2 Minuten fahren, 1 Minute warten. Es blieb genügend Zeit, den vielen Männern beim Betelnusskauen und Ausspucken der roten Masse zuzuschauen. Rund 10% der Bevölkerung Taiwans (vorwiegend Männer) sind Betelnuss süchtig. Die Früchte wachsen an sehr schönen Palmen, haben beim Kauen eine stimulierende Wirkung und sind krebserregend. Verkaufsstände, erkennbar an Leuchtsäulen und weiblichem Verkaufspersonal, sind fast so häufig wie Ampeln. Die roten Münder und Zähne (sofern vorhanden) der Konsumenten sehen für uns abstossend aus.

Am südlichsten Punkt unserer Reise um Taiwan hatte unsere Stimmung einen Tiefpunkt erreicht. Wir hofften, dass die Ostküste eine Besserung mit sich bringen würde… und das tat sie! Der Wind bliess uns zwar entgegen, aber die weniger dicht besiedelte, wilde Küste war eine Augenweide und die merklich freundlicheren Leute winkten und grüssten uns.

Im Aufstieg durch die Taroko-Schlucht wurde uns ein Gratis-Zeltplatz empfohlen. Obwohl es noch früh war, konnten wir der Versuchung von fliessendem Wasser, WC und Dusche nicht widerstehen und machten Feierabend. Beim Zeltaufbau kamen wir mit zwei Taiwanesen ins Gespräch, welche im Auto auf dem Parkplatz übernachteten. Nach einer kalten Dusche sassen wir den ganzen Abend an ihrem Tisch, wurden verköstigt und in spannende Gespräche verwickelt. Nach anderthalb Wochen in Menschenmassen aber mit wenig Interaktion war dieser Abend eine Wohltat!

Der nächste Tag bot mit einem Aufstieg von über 3000Hm auf 70km eine Herausforderung, welche unseren Ehrgeiz weckte. Wir wollten versuchen, die Bergfahrt in einem Tag zu meistern und damit einen neuen Höhenmeterrekord aufzustellen😉. Eine Baustelle mit eingeschränktem Durchgangsverkehr machte uns auf der ersten Hälfte Beine, denn wir mussten sie im Mittagsfenster passieren, um den Pass bei Tageslicht zu erreichen. 2000Hm schraubten wir uns durch triefende Wolken hoch, bis wir endlich blauen Himmel über uns hatten. Der wärmende Sonnenschein und das wunderbare Bergpanorama machten die Weiterfahrt zum Genuss. Die Baustelle erreichten wir früh genug, sodass unser Ziel noch realisierbar schien. Zu unserem Leidwesen wurden nicht nur die Beine müder, sondern auch die Strasse steiler. Trotz Steigungen von bis zu 17% liessen unsere sturen Köpfe eine Umkehr erst zu, als wir die Passhöhe auf 3275m erreicht hatten😊. Das Panorama, die Stimmung bei Sonnenuntergang und die Zufriedenheit über das Erreichte waren die Anstrengung alleweil wert! Und wir hatten uns damit eine zweitägige Abfahrt verdient.

Diese führte durch eindrücklich terrassierte Obstplantagen und durch ein riesiges Tal, in welchem ausschliesslich Kabis angepflanzt wurde. Ab dem Erreichen der Küste im Nordosten war die Umrundung der Insel schon fast vollbracht. Obwohl es uns am wilden Meer sehr gut gefiel, nahmen wir gerne die 3km lange Abkürzung durch einen alten Kohletunnel, welcher für Velofahrer und Fussgänger ausgebaut wurde. Mehrmals nutzten wir in öffentlichen Parks die Gelegenheit des Fussbades im warmen Thermalwasser und hatten dabei nette Begegnungen mit den Einheimischen.

Die Stadteinfahrt nach Taipei mit der damit verbundenen Ampelflut wollten wir möglichst kurz halten. Der Weg durch den vulkanischen Yangminghan Nationalpart im Norden der Stadt bot sich an und ermöglichte uns erst noch ein vergnügliches Bad in warmen Quellen mitten im Wald. Wie wir es in Grossstädten immer tun, widmeten wir uns in Taipei vor allem dem Essen und Organisatorischem. So konnten wir bei einem Velomechaniker neue Reifen abholen, die er für uns bestellt hatte und ein Päckli mit Winterausrüstung vorausschicken. Denn diese werden wir bis auf Weiteres nicht benötigen.

Mit der Fahrt aus dem Stadtzentrum Richtung Flughafen, begann sich der Kreis um Taiwan zu schliessen. Unser nicht besuchte Warmshowers Gastgeber hatte sich freundlicherweise für uns vergewissert, dass die Velokartons noch abholbereit waren. Beruhigt nahmen wir diese in Empfang und fuhren damit zum Hafen, wo wir das feine Essen und den Übernachtungsplatz bereits kannten. Auch bekannt kam uns vor, dass wir am nächsten Morgen mit unseren Velos am Flughafen nicht willkommen waren. Als wir das Gebäude betraten, kam das Sicherheitspersonal sofort auf uns zugestürmt. Die Velos mussten draussen verpackt werden, wo uns wenig später eine Polizeipatrouille darauf aufmerksam machte, dass die Unterführung zum Flughafen für Velos verboten sei. Dank Davids charmanter Erklärung, dass wir das wunderschöne Taiwan soeben mit dem Velo umrundet hatten, war unser Vergehen schnell verziehen😊. Gut, hatten wir uns diesmal auf die Diskussion um das Übergepäck sorgfältig vorbereitet. So konnten wir die freundlichen, hilfsbereiten Damen am Schalter mit den Informationen von ihrer Webseite konfrontieren und sie dazu bewegen, den Spielraum ihrer Möglichkeiten auszunutzen um uns übermässige Kosten zu ersparen. Das Gepäck aufgegeben und die Formalitäten erledigt, sitzen wir nun am Terminal und freuen uns auf den Flug nach Hanoi…